Leinenlos Geliebt.

Was für ein Tag…

  • Gestern war ich am Abend einem jungen Mann begegnet, der mit seiner Situation höchst unzufrieden war. Er lebt seit vielen Jahren auf der Straße und ist in dieser Zeit sehr häufig durch Unfreundlichkeit und Aggressionen aufgefallen. Auch in letzter Zeit war dies viel zu oft der Fall. Doch inmitten dieses harten Kernes hat sich etwas verändert. Er zeigte Emotionen, die nicht nur von Wut und Hass erfüllt waren. Bereits am Sonntag fiel er mir weinend in die Arme. Er war müde. Müde von all den Jahren, in denen er sich selbst belogen und betrogen hatte. Und alle anderen Menschen natürlich auch. Er kam auf mich zu – sein Zustand war katastrophal, voller Schwellungen und Wunden am Körper von etlichen Prügeleien, kaum noch gehend – um mir zu sagen, dass er nun gläubig sei… Moment mal, er war doch total betrunken und zugedröhnt und später am Abend kippte er komplett um und verlor kurzzeitig das Bewusstsein… Ja, aber er wollte raus, weg. Neu anfangen…

    In diesem Moment Vorgestern weinte er nicht nur und bat verzweifelt um einen Neustart, nein, er begann von sich aus zu beten. Er betete voller Leidenschaft und alles was er – in dieser Situation – tat, war, Gott zu danken. Er dankte Gott für sein Leben, für die Menschen, die nach ihm sahen, für jeden Passanten, der ihm Geld gegeben hatte, als er betteln war. Er dankte für jedes liebe Wort, das ihm geschenkt wurde…

    Er bat Gott nicht darum, alles leid zu beenden, nein, er dankte für das, was er in allem Leid noch Gutes sehen konnte. Ich war den Tränen nahe und beschloss eben auch deshalb, ihn am Montag zu suchen. Was ich vorfand war erneut ein gebrochener Mann. Er stand da, die Augen schrien förmlich nach Hilfe. Er stand da und wurde beleidigt, war selbst nicht mehr Herr seiner Sinne, aber er schaute mich an und sagte: „Bitte, hilf mir, ich halte es nicht mehr aus…“.

    Bereits am Dienstagmorgen hatten wir einen Platz für ihn gefunden und freuten uns sehr. Nachmittags ging ich in die Stadt, um ihn zu suchen – vergeblich. Er war nicht aufzufinden. Verschwunden. In seinem Zustand konnte das alles bedeuten…

    Ich war gefrustet. Ich war verzweifelt und zutiefst traurig. Er war weg. Aber noch hatte ich Hoffnung, ihn abends beim Kältemobil zu sehen. Doch er sollte nicht kommen… Mal wieder ein Tiefschlag?

    Wieder kurz vor einer neuen Chance gescheitert?

    Als der Abend sich dem Ende zuneigte, da kam eine wunderbare Frau zu mir und sagte, wir müssten über ihn reden. Sie erzählte mir, dass er in der Nacht nach einer Prügelei auf die Intensivstation gekommen war und von dort auf eine geschlossene psychiatrische Station verlegt wurde. Man bemüht sich dort nun um einen Therapieplatz für ihn… Unsere Gebete wurden erhört. Er wurde aus seinem Leben herausgenommen, denn ich weiß nicht, ob er noch lange durchgehalten hätte. Gott antwortet anders als wir uns das vorstellen. Hauptsache ist aber, dass er nun raus ist aus seinem Umfeld und zumindest eine Chance bekommt. Es ist sicherlich nicht seine erste oder zweite Chance, aber die erste, seitdem er selbst Jesus als Herrn bezeichnet hat und wenige Tage, nachdem er begonnen hat zu beten. Es wird ein weiter Weg, aber wir dürfen hoffen, dass er ihn Schritt um Schritt bestreiten wird.

    Ich bin heute unendlich dankbar, dass er mir angerufen hat und mich eingeladen hat, ihn in den kommenden Tagen zu besuchen.

    Glaube ist eine feste Zuversicht auf etwas, das wir nicht sehen können.

    So wie bei ihm. Die Zuversicht, dass da einer ist, der uns auch dann hört, wenn alle anderen uns fallen lassen. Als er am Ende war und nicht einmal mehr alleine aufstehen konnte, konnte er immer noch zu Gott schreien. Hoffen wir, dass er diesen Schrei beibehält.

    Mittwoch, 10.01.2018