Leinenlos Geliebt.

Übermannt

  • Manchmal verliere ich einfach die Kontrolle…

    Es ist, als würde ich mir einen Film anschauen. Man weiß genau, was gleich passiert, aber man kann es nicht ändern. Manchmal fühle ich mich machtlos gegenüber diesen Situationen und obwohl ich sie kommen sehe, falle ich immer wieder auf sie herein.

    Erst vor wenigen Tagen war ich wieder in einer solchen Situation. Wir hatten Kältemobil und es war ein schöner Abend – gut, es hatte Schneeregen, aber von der Stimmungslage war der Abend schön. Viele bekannte Gesichter – und, nachdem mein Sohn sehr anstrengend gewesen war, genoss ich es, raus zu kommen. Doch innerlich war ich schon den ganzen Tag angespannt. Das mussten mein Sohn, meine Frau und meine Tante, die kurz zuvor angerufen hatte, schon spüren. Mein Geduldsfaden war mal wieder gespannt… Das passiert mir – immer wieder. Ich merke es wenn er sich weiter und weiter spannt. Ich spüre es, aber dennoch schaffe ich es oft nicht, ihn daran zu hindern, dass er reißt.

    So auch dieses Mal. Eine junge Frau war gerade eben kollabiert und hatte nur noch eine leichte Atmung, kaum Puls spürbar. Eine Stresssituation. Wir leisteten notdürftig Erste Hilfe und riefen einen Notarzt. Sie hatte eine Überdosis verschiedener Medikamente ( es ging am Ende glimpflich aus). Einer ihrer Begleiter stand daneben und als wir auf den Rettungsdienst warteten, sprach ich ihn an. Er selbst war wohl auch ziemlich vollgepumpt. Sehr schnell verstand er mich falsch und begann mich anzupöbeln. Ich hätte wissen müssen, wie ich mich zu verhalten hatte – doch stattdessen ging ich darauf ein und machte ihm noch Vorwürfe. Ich begegnete ihm von oben herab. Etwas, was ich nie tun wollte, schreibe ich mir doch auf die Fahne, alle Menschen als gleich wertvoll anzusehen. Und er merkte mir meine Überheblichkeit an und verschloss sich und wurde nur noch aggressiver. Es war immer noch die Chance da, einzulenken. Aber stattdessen ließ ich unser Wortgefecht eskalieren. Bis hin zur Androhung körperlicher Gewalt von beiden Seiten. Erst dann schaffte ich es mich wieder zu beruhigen und abzudrehen, um wieder runter zu fahren. Es war erschreckend zu sehen, wie schnell ich die Kontrolle über die Situation und meinen Zorn verlor. Dieser junge Mann war ein Freund der Kollabierten – und er war unser Gast. Er war bei uns, weil er Hilfe wollte/brauchte. All das hatte ich in meinen Emotionen vergessen. Mein alter Ego kam zum Vorschein und ich hatte dafür gesorgt, dass dieser junge Mann nichts mehr von uns wissen wollte. Er ging – und sagte noch, dass er nicht wieder kommen werde. Wegen mir. Wegen dem, der ihm doch eigentlich gerne helfen würde…

    Hatte ich ein Recht, sauer zu sein? Nach menschlichem Ermessen vielleicht. Hätte ich die Situation anders regeln können? Ganz sicher.

    Dieser junge Mann war durcheinander. Er hatte sich selbst schon genug Schuldgefühle gemacht. Er machte sich Sorgen. Was er gebraucht hätte wären Trost und Zuspruch gewesen. Stattdessen habe ich bildlich noch auf einen Menschen drauf getreten, der am Boden lag… Mein Zorn gewann die Oberhand. Der Zorn darüber, dass er uneinsichtig war, mich provozierte und seiner Freundin eventuell noch weiteren Schaden zugefügt hätte. Ich vergaß, dass er selbst ja auch ein Opfer des Konsums war, dass es ihm kaum besser ging als ihr. Ich vergaß, dass Jesus selbst für genau diese Menschen auf die Erde kam. Ich schämte mich. Bevor er ging, entschuldigte ich mich noch bei ihm, doch er wollte davon nichts mehr wissen.

    Mein Zorn über die Situation, meine Wut über das Geschehene hatten dafür gesorgt, dass ein Verlorener – zumindest vorerst – verloren bleibt. Er will nicht mehr kommen und es tut mir unendlich leid.

    Die Bibel spricht oft von Zorn, zum Beispiel:

    Ein Tor zeigt seinen Zorn alsbald; aber wer Schmähung überhört, der ist klug.   –Sprüche 12,16

    Eine linde Antwort stillt den Zorn; aber ein hartes Wort erregt Grimm. – Sprüche 15,1

    Ein zorniger Mann richtet Zank an, ein Geduldiger aber stillt den Streit.   – Sprüche 15,18

    Klugheit macht den Mann langsam zum Zorn, und es ist eine Ehre, dass er Verfehlung übersehen kann.     – Sprüche 19,11

    Ich möchte langsam zum Zorn sein. Ich möchte mich umdrehen können, über die Verfehlung hinwegsehen und lernen, eine linde Antwort zu geben. Ich möchte Menschen zusammenführen und nicht entzweien. Wenn ich in dieser Situation auf Gottes Wort gehört hätte, dann wäre mir die Verzweiflung des jungen Mannes aufgefallen. Ich hätte nicht zurückgeschossen, sondern wäre stattdessen auf seine Sorgen eingegangen und hätte ihn getröstet, seinen Schmerz gelindert. Er wäre nicht weggelaufen und ich hätte ihn vielleicht irgendwann zu Gott führen können.

    Manchmal gelingt mir das. Weil Jesus wachsen darf…

    Ich wünsche Dir, dass du langsam zum Zorn bist und Antworten gibst, die den Schmerz dessen lindern, der dich schmäht. Die Ursache seiner Verletzung ist vermutlich Schmerz. Deine Antwort kann ihn lindern… Bitte Gott darum, dass er dir hilft, hinter die Schmähung zu schauen und so Frieden zu stiften. Ich werde ihn weiter bitten. Gott segne Dich.

    Donnerstag, 21.01.2016