Leinenlos Geliebt.
Leinenlos Geliebt.
Es ist Heilig Abend. Oder zumindest sagt das der Kalender. Es gibt nicht viel, was mich an Weihnachten erinnert. Kein Schnee. Es ist, abgesehen vom eisigen Wind, eher warm und fühlt sich nach Herbst an. Stille Nacht, heilige Nacht – doch zunächst erkenne ich von der Heiligen Nacht nicht viel. Gut, es ist still. Es fahren weniger Autos und auch die Fußgängeranzahl ist an diesem Sonntag überschaubar.
Doch es ist definitiv Heilig Abend. Und ich fühle mich so gar nicht danach. Es ist 15:30 Uhr und ich sitze alleine in meinem Auto und harre der Dinge, die da kommen. Ich bin mir nicht sicher, ob heute wirklich noch Feierlaune aufkommt. Jesus Geburt sollte gefeiert werden, doch im Moment bin ich alleine…
Ich starte das Auto, fahre zum Bahnhof und hole jemanden ab. Immerhin sind wir jetzt zu Zweit. Wir fahren zum Parkplatz am Wertwiesenpark und hoffen darauf, dass heute Weihnachten gefeiert wird. Auf dem Parkplatz warteten meine Frau und meine Kinder, sowie ein weiterer Mitarbeiter. Nach kurzer Zeit kamen meine Schwiegereltern, die Großmutter und die ersten beiden Gäste. Meine Stimmung hebt sich, doch irgendwie ist das noch kein Weihnachten.
Bärbel und Tom stellen einen Tannenbaum auf einen der aufgestellten Tische und wir beginnen Kaffee und Kuchen zu verteilen. Es kommen immer mehr Menschen, die mit uns Weihnachten feiern wollen. Am Ende waren wir ungefähr 45 Leute, die gemeinsam diesen Heilig Abend verbringen durften. Und meine Weihnachtsstimmung sollte auch noch Teil dieses Abends werden.
Um 17 Uhr begann unser Gottesdienst unter dem Motto: Weihnachten – das Fest der Enttäuschung. Jesus als der große Enttäuscher, der uns unsere falschen Erwartungen nimmt. Er, der als schwaches Kind kam, um die Welt zu verändern. Jetzt empfinde ich etwas Weihnachten. Ein wenig mehr… Wir singen unter anderem „Oh du Fröhliche…“ – die Weihnachtsfreude kommt auf. Judith trägt ein Gedicht – einen halben Poetry Slam – vor. Weihnachten – so oft eine Enttäuschung. „Ich habe dieses Fest bisher gehasst, aber langsam macht das alles Sinn…“ , sagt ein Obdachloser, der sich zum ersten Mal auf das Fest freuen konnte. Es folgt eine Predigt, die vor Augen führt, dass Weihnachten eine neue Chance generiert. Jesus steht bereit, wenn wir unsere getäuschten Vorstellungen ablegen wollen, wenn wir unsere falschen Bilder von Gott loslassen und uns ihm zuwenden, dann steht er schon da. Mit ausgebreiteten Armen und voller Liebe. Er ent-täuscht uns und zeigt uns die Wahrheit. Er starb am Kreuz, damit wir – obwohl wir uns abgewendet haben – wieder zu Gott zurück können. Ohne Karfreitag kein Weihnachten…
Jetzt hat es mich erwischt. Es ist Weihnachten und ich bin bei meiner Familie – bei all denen, die sich alleine fühlen. Nie war ich an Weihnachten so richtig (auch wenn es zu hause mit Eltern und co. auch schön ist). Das ist Weihnachten. Man liebt sich und freut sich miteinander und aneinander. Zum Abschluss des Gottesdienstes sangen wir gemeinsam und lautstark „Feliz navidad“ – ich genoss diesen Moment sehr. Es fühlte sich nach Liebe und Frieden an. Nach dem Gottesdienst gab es viel dankbare Rückmeldung für die Arbeit und den Gottesdienst und ein paar Menschen ließen sich sogar segnen und für sich beten. Zum Abschluss gab es warme Kleidung und Schweine- sowie Rinderbraten mit Rotkraut und Kartoffelpüree. Gestärkt in Körper und Seele klang der Abend trotz einer kleinen Störung sehr harmonisch aus.
Ich danke euch allen, dass wir mittlerweile wie eine Familie sind und unser Leben teilen. Ein Obdachloser bedankte sich nach dem Gottesdienst ungefähr mit diesen Worten und ich kann sie zurückgeben. Mein Leben ist reich, weil ich euch alle kennenlernen durfte.
Ich habe sie erlebt, die Heilige Nacht – und ich bin mir sicher, dass an diesem Abend zumindest wieder einmal Hoffnung in diese düstere Nacht gekommen ist. Das Licht der Welt ist geboren – und wir dürfen sein Licht tragen. Danke, Vater.